H. C. Artmann, Der Aeronautische Sindtbart
Dreißigstes Abendteur avt Capitul
1987 schenkte mir ein Kollege ein altes Zink-Klischee, das ein Paar zeigt, offensichtlich für einen Opern- oder Theaterbesuch gekleidet, sie im Pelzmantel, er mit Zylinder. Mir fiel Artmanns Aeronautischer Sindtbart wieder ein, in dessen 30. Kapitel ein Theaterbesuch eine wichtige Rolle spielt. Das zufällige Auftauchen dieses Klischees bescherte mir die Möglichkeit, ein weiteres Kapitel aus Artmanns Text zu illustrieren; nach dem gleichen Prinzip wie 1983 beim 20. Kapitel. Das Klischee ist auf allen Seiten abgedruckt, wird aber durch verschiedenes Einfärben und Überdrucken mit (hauptsächlich) Linolformen immer neu variiert und illustriert ganz konkret den Text. Das Klischee-Paar übernimmt die Rollen aus dem Artmann-Text. Welche Rollen dabei Farbe und Form spielen, möchte ich an einem Beispiel erläutern. Hauptmann Artmann und sein Diener Rufus befinden sich in einem Café in einer »mittleren« Landeshauptstadt. Rufus hat eben den Ober gerufen und bezahlt, zur Verwunderung des Hauptmanns, viel mehr, als sie verzehrt haben. Sie unterhalten sich leise. Die kleine rote Linie auf der linken Seite steht für den Gegenstand, über den sie sprechen. Niemand außerhalb des schwarzen Rahmens soll hören, worüber sie sprechen. Aber vielleicht hört man doch etwas, weil der ungeschickte Rufus so laut flüstert (die 28-Punkt-Schrift lässt es vermuten). "Wißt ihr, wer der alte, dezente ober war?" fragt Rufus. Also um den Ober geht es und die rote Farbe hat etwas damit zu tun. Auf der rechten Seite nimmt die rote Linie Gestalt an. Auf der nächsten Doppelseite setzen sich die roten Formen zusammen, verdichten sich (ähnlich wie in Trickfilmphasen). "Dieser ober ist der berühmt-berüchtigte Thelonius C. Vukovic." Eine Seite weiter kippt das Bild wieder, zerfällt, das bekannte Paar taucht wieder auf, noch ganz im Banne des roten Vukovic. "Thelonius C. Vukovic ist der ärgste ertzmagier Europas. Hätte ich ihn heute nicht sogleich bezahlt, wir wären beide nimmermehr bis vor die theatertür gekommen." Der Vukovic taucht später noch zweimal im Buch auf. Man weiß jetzt gleich, um wen es sich handelt, auch auf der letzten Doppelseite, wenn im Finale noch einmal alle Figuren des Textes auftreten, während ein großer, rostroter plüschvorhang knarrend vor das drama gezogen wurde. Wie schon der erste Band von 1983 wurde auch das 30. Kapitel als Pappband gebunden, im gleichen Format.
70 Seiten, Werkdruckpapier, Handsatz und Buchdruck, 16 x 24,5 cm, bedruckter Pappband,
120 nummerierte und signierte Exemplare. Lahnstein 1987.