RAZZLE-DAZZLE
Das Buch ist aus den verschiedensten Materialien zusammengesetzt: handgeschöpftes Papier, Werkdruckpapier, Transparentpapier, farbiges Bütten, Kunstdruckpapier, Packpapier, Folien, Seiten aus alten Büchern. Darauf mehrfarbig gedruckt sind Holz- und Linolschnitte, Polymer-Klischees, Holzstiche. Eine Doppelseite zeigt eine digital gedruckte Fotografie. Zu dieser wilden Materialschlacht kommen diverse Texte, handgesetzt aus den verschiedensten Schriften, in unterschiedlichen Größen. Die meisten Texte stammen aus bedeutenden Werken der Weltliteratur, aus Goethes "Faust" zum Beispiel oder aus Lewis Carrolls "Alice in Wonderland." Auch einige Gedichte sind darunter, von Clemens Brentano, Emily Dickinson oder Walther von der Vogelweide. Es sind allerdings nur kurze Texte: ein Gedicht oder der Anfang eines Romans (immer in der Originalsprache), Cervantes’ "Don Quijote de la Mancha" zum Beispiel: “En un lugar de la Mancha, de cuyo nombre no quiero acordarme.” Collodis "Le Avventure di Pinocchio" taucht mit seinem Anfang und Ende auf. Der berühmte Roman läuft imaginär durch das ganze Buch und endet darin auf Seite 71: Com’ero buffo, quand’ero burattino! e come ora son contento di essere diventato un ragazzino perbene! Literatur auf hohem Niveau ist in der Buchkunst nichts Neues, im Gegenteil. Dort ist der Platz, wo sie auf mehr oder weniger hohem gestalterischem Niveau präsentiert wird, sei es typografisch oder illustriert. Gelesen werden solche Ausgaben eher selten, die Qualität der Texte ist meistens ohnehin bekannt. Das ironische erste Beatles-Motto aus "Paperback Writer", das dem Buch vorangestellt ist und mit dem ich mich direkt an den Leser wende, gibt einen Hinweis: “Dear Sir or Madam will you read my book? It took me years to write, will you take a look?”. Tatsächlich ging es mir auch darum, den Betrachter des Buches zum Lesen der Texte zu bewegen. Eingebettet in die Razzle-Dazzle-Show des Buches sollte man die verschiedenen Texte, Schriften, Papiere und Bilder als unterschiedliche Nummern in einer "Buchrevue" begreifen. Dazu ruft auch das zweite vorangestellte Motto aus dem Beatles-Song "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" auf: We hope you will enjoy the show. Sit back and let the evening go. Meine Intensionen gingen von Anfang an in diese Richtung. Bezüglich des Titels hatte ich amerikanische Freunde gefragt, was sie mit dem Begriff Razzle-Dazzle verbinden, und erhielt die unterschiedlichsten Antworten. Eine überzeugende bekam ich 2013 (zwei Jahre nachdem ich das Buch fertiggestellt hatte) von James H. Spohrer, dem damaligen Bibliothekar der Germanic Collection der Doe Library in der UC Berkeley. Er gab mir ein Exemplar des Contra Costa Marketplace Magazine. In dem kostenlosen Heft, das zum größten Teil aus Werbung für Restaurants, Zahnärzte und Schönheitschirurgen bestand, befand sich auch der folgende kurze Artikel: A Razzle Dazzle Show. A performance by the Pinole Valley High School Chorus, directed by Mark Flanigan, head of the Pinole Valley High School Music Department at the Retired Teachers December Luncheon. Terrel Henderson, a student, choreographed the women’s choral. This group Razzled Dazzled the folks at the luncheon. Everyone had a great time. Ungefähr in diesem Geist entstand auch mein Buch. Die ausgewählten Texte sprechen hoffentlich für sich selbst, etwa Emily Dickinsons Gedicht, das bezeichnenderweise der letzte Text im Buch ist:
Finding is the first Act
The second, loss,
Third, Expedition for the “Golden Fleece”
Fourth, no Discovery –
Fifth, no crew –
Finally, no Golden Fleece –
Jason, sham, too –
84 Seiten, Handsatz und Buchdruck, bedruckter Ganzgewebeband in 3 Farbvarianten mit Titelschild, 15 x 24 cm,
50 nummerierte und signierte Exemplare. Flörsheim 2011.